Viva la Vulvalippen

Feministischer Zwischenruf

Irgendetwas stimmt nicht, an der Art, wie wir über Genitalien reden: Es ist 2018 und wir verwenden noch immer Worte wie Schambein, Schamdreieck, Schambereich, Schamhaare und vor allem: Schamlippen. Das soll sich ändern!

Haben Sie schon gehört: Es gibt eine Petition! Eine frische, fruchtige Petition (das Headerbild ist eine Pomelo, die die Vulva symbolisieren soll), um die Scham als Beschreibung für Genitalien aus dem Duden herauszubekommen. Und da wir irgendwo anfangen müssen, haben wir uns für den ärgerlichsten der „Scham“-Begriffe entschieden: die Schamlippen. Was soll das überhaupt sein? Lippen, die den ganzen Tag flüstern: Oh, ich schäme mich so für meinen blöden Namen? Da muss eine bessere Bezeichnung her.

„Und ich habe auch schon eine Idee,“ sagte die Journalistin Gunda Windmüller, als sie mich vor ein paar Wochen anrief. „Lass sie uns Vulvalippen nennen. Es sind Lippen, sie befinden sich an der Vulva, also sind es die Vulvalippen.“ Einfach und genial.

Wir machten uns daran, die Idee auf all unseren Kanälen zu verbreiten. Denn damit ein Wort in den Duden kommt, muss man nachweisen, dass es verwendet wird. Doch das ist gar nicht so einfach bei einem Wort wie Vulvalippen, das ja nicht ohne Grund – Kalauerwarnung – schamhaft verschwiegen wird. Trotzdem  erschienen sofort Artikel und Radiobeiträge, die unser Anliegen unterstützten, Change.org fragte, ob wir nicht eine Petition starten wollten – Wir wollten!

Sogar das Fernsehen wurde darauf aufmerksam. Ebenso wie das allmächtige Internet. Das sich wie immer allmächtig aufregte. Hier eine kleine Auswahl: „Wer sich von sowas wie ‚Schamlippen‘ triggern lässt ist doch auch nichtmehr ganz dicht.“ „Warum zeigt ihr eigentlich nicht mal eure #vulvalippen? Ihr ‚schämt‘ euch doch wohl nicht etwa?“ „Deine #vulvalippen will ich gar nicht sehen“

Der erste Tweet war von einem jungen Mädchen. Als ich ihren Twitternamen anklickte, fand ich heraus, was „sie“ sonst noch so tweetete. Anti-islamische, anti-linke und anti-POC Hetze.  Nun ist nicht jeder, der nicht mit mir übereinstimmt, ein AfD Anhänger, allerdings waren das keine spontanen Reaktionen auf unseren ach so absurden Vorschlag. Hier versuchten Menschen gezielt, unsere Petition lächerlich zu machen.

Ein paar hatten auch einfach nur einen Clown gefrühstückt: „Müssen wir den Schampus und die Schamanin dann auch ändern?“

Nein, denn Schampus kommt von Champagner und damit von der Region in Frankreich, und hat nichts mit Scham zu tun. Ebenso wenig wie die Schamanin, die von der ewenkischen Wortwurzel „Saman“ kommt, was soviel bedeutet wie „jemand, der erregt, bewegt, erhoben ist“. Den Begriff Schamlippen dagegen hat uns die Kirche beschert. Sie nannte Genitalien die schamhaften Teile oder auf Latein „Pudendum“. „Pudendum“ hatte den Höhepunkt einer Verwendung im 18. Jahrhundert und verschwand dann nach und nach aus dem Sprachgebrauch - so wie hoffentlich bald auch die Schamlippen.

 „Dann müsste auch die Scham an sich umbenannt werden, wovon der Begriff abgeleitet ist, richtig? Keine Schnellschüsse bei so etwas, wenn dann richtig!“

Oder mit anderen Worten: Wenn Ihr es nicht perfekt macht, dann macht lieber gar nichts. Nach diesem Motto würde ich morgens nicht aus dem Bett steigen, und erst recht die Finger von jeder Form von Politik lassen, denn – Spoileralert – nur wenn man etwas macht, hat man die Chance auch Fehler zu machen.

Unser erster Fehler war, dass wir uns ein großartiges Vulvalippen Handzeichen ausgedacht hatten: Das Victory/Vulva Zeichen (Mittelfinger und Zeigefinger zum V erhoben) plus abgespreiztem Daumen, um noch ein L dazu zu bilden. Großartig! Dummerweise fanden die Nazis das ebenfalls und hatten es als alternativen Hitlergruß, aka Kühnengruß, etabliert. Nicht nur der Duden auch wir können jeden Tag etwas dazu lernen. Also änderten wird das Vulvalippenzeichen in das Victory/Vulvazeichen. 

Der zweite Fehler war, dass wir einen zweiten Header hatten, der aussah wie die Duden-Internetseite, auf der bereits der Begriff Vul*va*lip*pen eingetragen war mit der Begründung „Weil Frau sich nicht dafür schämen muss!“. „Das ist transfeindlich“ tweeteten Menschen, und das stimmt! Natürlich haben nicht nur Frauen Vulva und Vulvalippen. Also sollten wir das auch so schreiben. Wenn wir schon über Sprache nachdenken, ist es wichtig, nicht bei der eigenen Haustür aufzuhören.

Ein paar der Fehler, die uns unterstellt wurden, machten wir allerdings nicht. So verdächtigten uns einige der selektiven Wahrnehmung „Wann kommt das Schambein dran? Oder ist das nicht so wichtig, weil es ja Frauen und Männer betrifft?“ Doch, doch, doch! Wir möchten auch das Schambein umbenennen. Es geht darum, die Scham – in Bezug auf Genitalien – los zu werden.

 „Aber reichen denn nicht Labien? Die stehen doch bereits im Duden.“

Ich finde Labien super. Ich fände es fein, wenn alle Labien sagen würden, wenn sie Labien meinen. Doch genau das passiert eben nicht und vor allem nicht an Grundschulen und Kindergärten, wo nach wie vor von Schamlippen gesprochen und den Kindern damit von Anfang an beigebracht wird, dass da Teile an ihrem Körper sind, für die sie sich schämen sollen.

„Da werden Mädchen zwangsverheiratet und ihr wollt Schamlippen in #Vulvalippen umbenennen?“

Für Äußerungen wie diese gibt es einen Fachbegriff. Er heißt Whataboutism und bedeutet, dass man jedes Anliegen damit abbügeln kann, dass man seinem Gegenüber vorwirft, sich nicht mit den wirklich wichtigen Themen zu beschäftigen. Wir bekamen so viele Whataboutisms, dass wir die Frage in unsere Petition aufnahmen: Ja, auch wenn es wichtigeres gibt, wollen wir die Vulvalippen in den Duden bekommen.

Denn die Art, wie wir über die intimsten Teile unseres Körpers sprechen, ist relevant. Das hat etwas mit Framing zu tun. Kurz erklärt: Um den Sinn eines Wortes zu begreifen, ruft unser Gehirn alles auf, was es mit diesem Wort verbindet. In Bezug auf Schamlippen also: Lippen, Mund, küssen, rot, Scham, schämen, mit diesen Lippen stimmt irgendetwas nicht ... Sprache erschafft den Deutungsrahmen (frame), in dem wir uns bewegen.

Bei einer Studie[1] wurden die Versuchspersonen in zwei Gruppen geteilt und erhielten den selben Text über Kriminalität, mit dem kleinen Unterscheid, dass Kriminalität einmal mit einer Bestie verglichen wurde und bei der zweiten Gruppe mit einem Virus. Danach erklärte die erste Gruppe, man müsse „härter durchgreifen“, um „Verbrecher zu jagen“, während die zweite Gruppe über Reformen und Heilung nachdachte.

Wenn wir das Wort Vulvalippen verwenden, werden wir also anders mit unserem Genital umgehen als bei der Verwendung von Schamlippen.